06/05/2014

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne "Aber Hallo!" Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

06/05/2014
©: Karin Tschavgova

Auf, Architekten, in die Hände gespuckt – mit dem 3-D-Drucker wird die Architektur revolutioniert. Dekoro statt kargisch *)

Wollt ihr das erste ultimative Haus drucken, dann erhebt eure müden Knochen, Freunde, denn die Zeit drängt und die Konkurrenz in Amsterdam, an der ETH Zürich und in London schläft nicht. Maschinen geölt, Leimpistole in Anschlag gebracht und Patronen gereinigt – und los geht’s. Formen macht der Drucker. Wie? Nur jetzt nicht zögern oder gar kneifen: vielleicht sind noch ein paar Algorithmen vonnöten und dreidimensionale Pixel zu programmieren, aber das kann für toughe Computerzeitalterjungs doch kein Problem sein.

Dann nur mehr zurücklehnen und zuschauen (oder in der Karibik darauf warten) bis der wunderbare Drucker in drei Jahren ein Haus gedruckt hat (laut Berechnung). Vor Ort, versteht sich, denn „der große Vorteil ist nicht nur, dass man nicht auf standardisierte Bauelemente angewiesen ist," sondern auch – man höre und staune – dass „zudem ein Bauwerk komplett vor Ort hergestellt werden könne“. Na, wenn das keine Revolution im Bauen ist!

In drei Jahren soll es stehen, das Haus aus einem Guss, Grachtenlook im Norden Amsterdams oder „digital grotesk“ für Möchte-Gern-Borrominis – ganz nach Wunsch. Nur die Chinesen können uns gestohlen bleiben mit ihren Kleinsthäusern ohne baukulturellen Anspruch. Wir sind vom revolutionären Charakter der neuen Technologie für die Bauwelt doch nur deshalb überzeugt, weil damit „bisher nur aufwändig herstellbarer Formenreichtum ermöglicht wird“.

Was motzt ihr schon wieder? Alles nur Dekor? Stimmt doch nicht, es handelt sich um eine „hochaufgelöste Oberfläche“, sagen die Jungs von der ETH Zürich, und die müssen es ja wissen, haben sie das opulente 20 Quadratmeter große Wanddekor für einen Innenraum doch selbst gebaut - hochverdichtet aus Harz und Sand, ein echter Biokunststoff. Und überhaupt: Seid doch nicht immer so kritisch! Schaut euch doch um! Liegt das Fassadendekorieren nicht sowieso im Trend in der aktuellen Architektur? Fassaden statt Räumen, Oberflächen anstelle von Raumerfindung und Raumwundern (was sowieso nur höchstens einmal alle Jahrhunderte gelingt). Ach, wie leicht machen es uns die neuen Technologien.

Bauphysik, Umweltschutz, Energiesparen und Nachhaltigkeit – alles keine Themen mehr im zeitgenössischen 3-D-Bauen – seid doch froh. Wie man die Haustechnik, also Strom, Wasser, Heizung ect. unterbringt im ersten Wohnhaus aus dem Drucker? Seid doch nicht sooo kleinlich. Das wird dann eben auch vor Ort gemacht, ein Jahr auf oder ab ist doch kein Problem. Meißel und Hammer in die Hand genommen und Löcher gebohrt, wo man sie braucht – und wenn’s die tatkräftige Unterstützung der Architekten braucht, was soll’s. Hat nicht erst kürzlich eine Umfrage ergeben, dass sich viele Architekten lieber auf der Baustelle aufhalten als im Büro?

Ach, ich freu mich schon, wenn Baumax den ersten Heimwerker-3-D-Drucker auf den Markt bringt. Den werde ich mir leisten. Dann bau ich mein karges 1960er Haus grundlegend um, mach alle Räume neu, verschönere Wände mit barockem, „hochaufgelöstem“ Oberflächendekor. Was? Das gibt es schon. Aber haltet doch endlich eure Lästerklappe – ich will doch nachhaltig und umweltbewusst im Trend sein, ohne Styropor. Hoch lebe der 3-D-Hausdrucker!

*) Dekoro statt kargisch lehnt sich an den Titel eines Artikels an, der von Benedikt Loderer, Redaktor bei Hochparterre, für den Zuschnitt 5: Holz zu Gast geschrieben wurde: Kargisch und Dekoro, März 2002. Karin Tschavgova war damals Chefredakteurin des Zuschnitt

Gernot Ritter

„Wir Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Architekten und leidenschaftliche Liebhaber der bisher unangetasteten Schönheit von Paris protestieren im Namen des verkannten französischen Geschmacks mit aller Kraft gegen die Errichtung des unnötigen und ungeheuerlichen Eiffelturms im Herzen unserer Hauptstadt, den die oft vom gesunden Menschenverstand und Gerechtigkeitsgefühl inspirierte Spottlust der Volksseele schon den Turm zu Babel getauft hat. […] Um zu begreifen, was wir kommen sehen, muss man sich einen Augenblick einen schwindelerregenden, lächerlichen Turm vorstellen, der wie ein riesiger, düsterer Fabrikschlot Paris überragt, muss sich vorstellen, wie alle unsere Monumente gedemütigt, alle unsere Bauten verkleinert werden, bis sie in diesem Alptraum verschwinden. […]“
http://de.wikipedia.org/wiki/Eiffelturm#Hintergrund

Sa. 10/05/2014 5:30 Permalink
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