03/09/2019

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

03/09/2019
©: Karin Tschavgova

Architekturkritik, von außen gesehen

Im Sommer bevorzuge ich Urlaub zu Hause. Für Luftveränderung, Tapetenwechsel und Abwechslung, ganz allgemein, verreise ich im Kurzzeitmodus. Heuer drei Tage Salzburg mit Theater und Konzert, kürzlich eine Woche im Waldviertel, das so schön – so geschichtstrunken, so voller Baukunst und so wenig verhunzt – ist, dass ich es jedem Leser, jeder Leserin nur wärmstens empfehlen kann.
Am Ende meiner Waldviertler Woche fuhr ich nach Krems, um mir die neue Niederösterreichische Landesgalerie anzuschauen, die im Frühjahr und Frühsommer dieses Jahres in den Medien omnipräsent war. Ich wollte mir selbst ein Bild des Bauwerks von Marte.Marte Architekten machen, das in den Publikationen ikonographisch wirkte, sodass es mich als „Vorarlberger Geste“ erstaunt hatte. Der vorherrschende Tenor der Reaktionen in den Postings war wenig überraschend. Zu monumental, übertrieben, unpassend am Ort, unproportioniert, nicht funktionell. Das kennt man. Meine beiden Kollegen als Architekturkritiker in der „Presse“ und im „Standard“ hatten Ort und Form beziehungsweise ihr Äußeres differenziert beschrieben, aber keinerlei Informationen über die räumliche Wirkung der Ausstellungsebenen gegeben. „Über das Innenleben des Hauses sollte man erst ab dem 25. Mai Aussagen treffen, wenn die Ausstellung eröffnet ist“ (Christian Kühn) „Über die Pflicht … wird man sich ein Urteil bilden können, wenn das Museum Ende Mai offiziell eröffnet wird.“ (Wojciech Czaja)
Nun, es war Ende August und daher eine nähere Betrachtung für mich möglich. Mein Resümee: Das Ding, vereinfacht vielfach als gedrehter Würfel beschrieben, ist ein verdrehter Pyramidenstumpf und steht ziemlich prominent (hüpft, schreibt Ch.K., „tanzt“ Woj) auf der sogenannten Kremser Kunstmeile zwischen dem Stadttor nach Stein, der Kunsthalle und dem Karikaturenmuseum – direkt neben einem weit ausladenden Kreisverkehr. Seine skulpturale Großform fand ich fremd und gewöhnungsbedürftig, aber auch neugierig machend und anziehend. Deshalb also nichts wie hinein. Eine kurze Umrundung, um den richtigen Eingang zu finden, und durch den Windfang, der als abgeschlossenes, schwarzes Element in den Glasbögen einen Kontrast zum hell-sonnigen Sommertag bildete, in den sympathisch zurückhaltend und klein gehaltenen Bereich des Ticketverkaufs und Bookshops. Die Ausstellung mit Arbeiten von Renate Bertlmann im Erdgeschoß mit den verglasten Bögen wirkte hell und luftig. So weit, so gut.
Was dann kam, war höchst irritierend. Ich fand in den drei Ausstellungsebenen über dem Eingangsgeschoß keinen Raum. Was bösartig übertrieben klingt, meint nicht, dass ich keine Ebenen, keinen Ort fand, der die drei weiteren angekündigten Ausstellungen beherbergte. Ich fand nur keinen Raum vor, der dem entsprochen hätte, was sich außen, an der komplex geformten Hülle mit hyperpoloid gekrümmten Flächen andeutete. Die einzelnen Ausstellungsebenen, besonders die beiden ohne Tageslicht, erinnerten mich an den mittleren „Space“ des Grazer Kunsthauses. Mit einer ebenen Decke und rasterförmiger Deckenbeleuchtung abgeschlossen, entsteht ein banaler Raum, der mit seinen (zu) vielen massiven Stellwänden, die bis dicht vor die unterschiedlich schräg erscheinenden Außenwände gestellt wurden, nicht mehr die geringste Wirkung oder Ausstrahlung zeigt, die Raum haben kann. Keine vertikale Verknüpfung der Ebenen, nicht einmal visuelle Durchlässigkeit finde ich. Hingegen mehrmals einen mit Kordeln abgesperrten Cul-de-sac, zu enge Restflächen und Resträume zwischen den Stellwänden und der Außenwand. Was in Graz durch die Größe und Großzügigkeit der Ebene getrennt wahrnehmbar ist, die außergewöhnliche Hülle und der ausgestellte Inhalt, ist hier im Inneren völlig verloren gegangen. Eine große Enttäuschung, auch wenn man differenziert und nicht zu den reflexartig kritischen Stimmen zum Neubau der Niederösterreichischen Landesgalerie gehören will. Einige Fragen, die sich aufdrängen: Können die Architekten Raum nicht besser formulieren und formen? Oder durften sie nicht besser sein, mussten zuviel in ihre exaltierte Hülle packen? Warum schreiben meine Kritikerkollegen nicht offener, schonungsloser über das, was sie zur Zeit ihrer Besichtigung sicher auch im damals leeren Innenraum schon sehen und erkennen hätten können?
Architekturkritiker haben’s nicht leicht. Wer mag sich schon berufsbedingt exponieren durch schonungslose Kritik? Wenn es um Vermittlung von Baukunst und Qualität geht, dann ist Kritik im nicht fachlichen Diskurs auch wirklich zweitrangig. Trotzdem: die Schwächen eines Bauwerks zu verschweigen, bringt für die Architekturvermittlung nichts, macht im Gegenteil die Gräben nur breiter und Verständnis und Akzeptanz von zeitgenössischer Baukultur nicht größer. Und dann ist da für mich auch noch ein Aspekt. Ich habe den Verdacht, dass die Architekturbetrachtung und -kritik manchmal mit zweierlei Maß misst, je nachdem, wer etwas wo geplant hat. Mir ist da die Theaterkritik lieber, die traditionell niemanden mit Samtpfötchen anfasst, sondern immer kritisch bis subjektiv beäugt und auch mal richtig hinhaut.
Conclusio: Mein Besuch der neuen Niederösterreichischen Landesgalerie hat mich an eine Sache erinnert, die mich immer wieder von neuem ärgert, und die ich schon lange aus der Welt schaffen will. Das wird Sie vielleicht verwundern, denn es geht um die Reputation des Grazer Kunsthauses. Dieses wird nämlich in dem in seinem Umfang und seiner Vielfalt europaweit einzigartigen Architekturarchiv Nextroom (und auch auf GAT) so oberflächlich und niveaulos – einfach unpassend – beschrieben, dass es eines digitalen Archivs nicht würdig ist, das den Anspruch hat, österreichische und europäische Baukultur mittels Plan- und Fotodokumentationen sowie Baubeschreibungen zu sammeln und für die Nachwelt festzuhalten. Und das für jeden frei zugänglich ist. Im Fachdiskurs war und wäre der kritische Blick aufs Kunsthaus angebracht gewesen, aber nicht dort, wo er jetzt als vermeintliche Baubeschreibung auf ewig festgehalten ist. Das ist ungerecht – auch im Vergleich mit ähnlich ikonisch wirkenden Kulturbauten. Siehe oben.

thomas thaler

s.g. fr Tschavgova,
meines Wissens nach haben die Architekten für den Innenraum "gekämpft" aber leider gegen die Ausstellungsmacher und wohl auch gegen das Budget "verloren" (so zumindest meine Erinnerung an ein Gespräch mit einem der beiden Architekten)
demzufolge ist Ihre Kritik am Innenraum sicher berechtigt und wohl auch richtig;
(ggf haben Ihre beiden Kollegen bei der Eröffnung aufgrund der Menschenmassen die Innenräume nicht "sehen" können..;)
und ja, sie haben recht,
die Theaterkritik ist in ihrem Tun schärfer, präziser und oft auch angriffslustiger als es die Architekturkritik ist, leider,
selbige empfinde ich mittlerweile als eine beschreibende Zunft, und keine kritisierende Zunft, was der Wahrnehmung der Architektur nicht wirklich zugute kommt;
grüsse aus dem westen
t

Sa. 21/09/2019 3:01 Permalink
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