06/11/2018

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

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06/11/2018
©: Karin Tschavgova

Vom Schönschreiben von Fakten zu „alternativen Fakten“

Glaubt man der örtlichen Immobilienwirtschaft, dann gibt es in Graz nur mehr rund 100 für den Wohnungsbau geeignete Grundstücke. Nun will aber jeder vom (noch) anhaltenden Immobilienboom profitieren und am Kuchen kräftig mitnaschen und so kommt es, dass derzeit Lagen verbaut werden, die jeder als höchst problematisch für den Wohnungsbau einstufen wird, dem Wohnzufriedenheit und Gesundheit der Grazer und Grazerinnen ernsthafte Anliegen sind. Es sind Standorte wie der Eggenberger Gürtel (die südliche Verlängerung des Bahnhofsgürtels), ein heterogener, stark gewerblich genutzter Straßenzug mit Autohandel, Tankstellen und Nachtbars, der schon im täglichen Berufsverkehr, also zu „Normalzeiten“, mit mehr als 44.000 passierenden Fahrzeugen täglich belastet ist.
Kommen dann, wie am langen Feiertagswochenende im Oktober, in vier Tagen gleich drei Totalsperren des Plabutschtunnels aufgrund von Unfällen dazu, dann rollen nach Angaben des Grazer Verkehrskoordinators zusätzlich 44.000 Fahrzeuge an den dort schon fertiggestellten und gerade im Bau befindlichen Wohnquartieren vorbei. 88.000 Fahrzeuge in 24 Stunden, die Tag und Nacht vorbeibrausen oder im Dauerstau an deinen Fenstern vorbeikriechen. 
Der im Bau befindliche Wohnbau der bwsg (Besser wohnen seit Generationen!) mit dem klingenden Titel „Wohnen am Central Park“ und 220 Wohnungen ist zwischen der Bahntrasse der Südbahn und der bis zu fünfspurigen Straßenführung aufgespannt. Da hilft nicht wirklich, dass „Bauteil Ost hinsichtlich seines Erschließungssystems eine typologische „Weltneuheit“ wird“ (Zitat Webpage). Realistisch klingt da folgender Werbespruch, auch wenn er sicher nicht so gemeint ist: „Diese Anlage zeigt, wie man im 21. Jahrhundert wohnt und lebt. Eine Wohnung muss sich unseren Bedürfnissen und unseren Lebensstilen anpassen. Mit unserem Projekt „Wohnen am Central Park“ haben wir die Antwort auf die Zukunft.“ Zynisch? Frei nach dem Motto: Willst du Mobilität und die Beibehaltung uneingeschränkten Autoverkehrs in der Stadt – na, dann büße oder pass dich an.
Was aus der Sicht von Investoren nachvollziehbar ist – ohne Skrupel den großen „Reibach“/maximalen Gewinn machen – ist für die dort Wohnenden eine Zumutung (und für mich ein kaum vorstellbarer Alptraum). Den jüngst fertiggestellten Wohnbauten am Gürtel kann man ablesen, dass nicht einmal einfachste Lärmschutzmaßnahmen vorgesehen wurden (zum Beispiel an einem Eckhaus, an dem der Laubengang an der Straßenfront mit Lochblech völlig unzulänglich nur gegen die Einsehbarkeit in die Wohnungen abgeschirmt ist). Es ist auch nicht intelligent, eine Glasfassade über mehrere Etagen, die als Lärmschutz vor Studentenwohnungen dienen soll, mit Gitterrosten zur Verbindung der Loggien zu versehen. Und es kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, sogenannte durchgesteckte, also zweiseitig belichtete Wohnungen „Am Central Park“ zu planen, wenn die Wohnräume zum massiv befahrenen Gürtel situiert werden.
Wie kann ein Bürgermeister als oberste Bauinstanz angesichts einer solchen Entwicklung noch immer so stolz auf seine stets wachsende Stadt sein? Wie die Grazer Stadtplanung so etwas zulassen? Stadtplanung sollte vorausschauende Entwicklungsplanung sein, die menschenwürdige Mindeststandards genauso festlegt wie No go’s. Ein „Grazer Modell“ müsste zumindest vorschreiben, intelligente Lösungen für Wohnbauten an neuralgischen, verkehrsstarken Punkten der Stadt zu finden. Schlag nach in der Geschichte: Helmut Richter, einer der wichtigsten Vertreter der „Grazer Schule“, hat schon 1991 am Wohnhaus an der stark frequentierten Brünner Straße in Wien den Lärmschutz durch typologische Neuerfindung umweltverträglich und menschenwürdig gelöst.
Peter Felber vom Kuratorium für Verkehrssicherheit sagte anlässlich der Tunnelsperren Ende Oktober: „Graz ist für diese Automassen nicht gebaut.“ Wie wahr! Und doch bauen wir munter weiter, und tun so, als wäre die Verkehrsüberlastung, nicht nur am Eggenberger Gürtel, ein „alternativer Fakt“, während die dortigen künftigen Bewohner sich glücklich schätzen können, am „Central Park“ zu wohnen. Nach Auskunft der Grazer Zweigstelle der bwsg mit Landesförderung.

Anonymous

Man kann als Grazer froh sein, dass die Grazer Stadtplanung mit wissenschaftlich fundierten Konzepten arbeitet.
Der sparsame Umgang mit der finiten Resource Boden ist das um und auf jeder modernen Stadtplanung.
In Graz ist der Motorisierungsgrad rücklaufig weil die Bebauungsdichten in der Stadt ansteigen.
Man braucht nur zu den Stoßzeiten die Nummerntafeln der im Stau stehenden Autos anzuschauen um zu sehen wo die Verkehrserreger zu finden sind.
Es sind die umweltfeindlichen Einfamilienhäuser am Land und nicht die umweltfreundlichen großvolumigen Neubauten in Graz die meist weniger Parkplätze als Wohnungen aufweisen im Gegensatz zum Einfamilienhaus am Land wo 2 und mehr Autos die Norm sind.
Weiters bekommt Graz das erste Mal seit der Gründerzeit wieder öffentliche Grünflächen im flächenmässig relevantem Ausmass was wiederrum nur möglich ist weil wieder höher gebaut wird, lang möge die aktuelle der Stadtentwicklung anhalten.

Di. 13/11/2018 7:47 Permalink
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