05/09/2017

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

05/09/2017
©: Karin Tschavgova

Vor(her)preschen und nach(her)denken

Ob Hurrican Harvey eine direkte Folge des Klimawandels war, wagt keiner zu behaupten. Einig sind sich Umweltexperten jedoch darin, dass der starke Zuwachs an Einwohnern im Großraum von Houston (300.000 mehr seit 2001) und die damit verbundene sorglose Inanspruchnahme von Flächen die jetzigen Überschwemmungen zur Katastrophe in einem noch nie dagewesenen Ausmaß hat werden lassen. In Houston zu bauen war beliebt, weil es für Bauvorhaben keinerlei Vorgaben gab. Selbst in der Nähe von Rückhaltebecken durfte gebaut werden. Werden Versickerungsflächen durch Bodenversiegelung massiv reduziert und Flussläufe begradigt und ihres freien Strömungsraums beraubt, dann reichen auch Auffangbecken nicht aus (sofern überhaupt welche existieren), um gegen solche Starkregenfälle gerüstet zu sein.
Österreich liegt im Bodenverbrauch europaweit an der Spitze. Unvorstellbare 14,7 ha Acker- und Wiesenflächen werden täglich für Straßen und Gebäude versiegelt.
Auch Graz wird derzeit massiv verbaut. Jedes Restgrundstück in der Kernzone, letzte Gärtnerei- und Ackerflächen und bis dato frei gebliebene Obstgärten und Wiesen – in extremen Hanglagen genauso wie in der Ebene – fallen einem Bauboom zum Opfer, der einen staunen lässt. Braucht Graz überhaupt so viele neue Wohnungen?
Oder anders gefragt: ist diese Veränderung der Stadt mit all ihren Folgeerscheinungen durchdacht und gewollt?
Graz tendiert, auch abseits von Wahlkampfzeiten, zu einer Schlagwörterpolitik. Tack, tack, tack – beinahe im Monatstakt wird Neues aus dem Hut gezaubert und in Pressekonferenzen als Superidee und Ultimo ratio, die Graz ein weiteres Alleinstellungsmerkmal verschaffen wird, präsentiert.
Ob alles ebenso gut durchdacht wie kurzfristig angekündigt wird, darf bezweifelt werden. Wie sonst könnte SUP (Smart Urban Park) uns präsentiert werden, – „drei Buchstaben, die das Parken in Graz in Zukunft revolutionieren werden“ (siehe BIG, das offizielle Magazin der Stadt Graz). SUP ist ein automatisiertes Parksystem, das mitten im Herzen der Stadt, unter dem Brunnen am Eisernen Tor, in zwölf unterirdischen Etagen 300 Parkplätze schaffen soll. An eine zweite Baustufe, finanziert durch Crowdfunding, nebenan unter dem kleinen Park vor dem Dorotheum ist gedacht. Schaut ja auch alles so harmlos und schnuckelig im Schaubild aus, visualisiert ganz ohne Zufahrten, Verteilerlifte oder Baugrube.
Es ist eine Idee, die nicht nur allen in die Zukunft gerichteten Konzepten zur Verringerung von Individualverkehr in den Zentren europäischer Städte mit Weitblick widerspricht, sondern es konterkariert auch die eigenen Grundsätze der Verkehrspolitischen Leitlinie 2020, die sich Graz im Gemeinderatsbeschluss verordnet hat, und die Ziele des Mobilitätskonzepts 2020.
Zu hoffen ist, dass diese Ankündigungspolitik ganz andere, für uns einfach und gerade Denkende naturgemäß unverständliche Hintergründe hat. Die druckgepresste Ankündigung zur SUP ist nämlich mit „Graz hat es vor allen anderen“ übertitelt. Da schau her: „Graz wäre damit Welt-Allererster“ heißt es im letzten Satz der erwähnten O-SUP-AK (Offizielle-SUP-Ankündigung).
Könnte es sein, dass die derzeitige Stadtregierung vom Motto „I hob zwoar ka ohnung wo i hinfoahr, aber dafür bin i gschwinder duat“ getrieben ist?
Also wirklich, Frau Tschavgova, müssen Sie immer alle und alles so wörtlich nehmen? Das singt doch nur „Der Halbwilde“ in der unvergleichlichen Interpretation von Helmut Qualtinger.

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