afo, Linz

Siedlung Sintstraße © Birgit Kornmüller (bearbeitet)

Seit 1927 existiert die Arbeitersiedlung in der Sintstraße, geplant wurde sie vom Linzer Stadtbaudirektor Curt Kühne. Nun stehen Teilabriss und Umbau im Raum. Fachleute, Architekturhistoriker*innen und Baukultur-Initiativen setzen sich für Erhalt und Weiternutzung dieser historischen Siedlung ein. Gibt es jenseits von verwertbaren Quadratmetern einen gesellschaftlich relevanten Wert, für den es sich zu kämpfen lohnt? Was können wir aus den Erfahrungen im Umgang mit historischer Bausubstanz lernen? Im afo architekturforum oberösterreich wird am Mittwoch, 5. April 2023 ab 18 Uhr öffentlich diskutiert.

Fast jeden ersten Mittwoch des Monats veranstaltet das afo Baukultur-Stammtische zu brennenden Themen. Es wird diskutiert, getrunken und gegessen - Stammtisch eben! Die Tür steht allen offen, die sich dafür interessieren, wie unsere Städte, Dörfer und Landschaften aussehen, und motiviert sind, unsere Lebenswelt mitzugestalten. Nicht nur in Linz, sondern auch am Land ist dieses Format mehr als erfolgreich. Ziel ist es Diskussionsprozesse anzukurbeln. Wer einen solchen Baukultur-Stammtisch veranstalten nimmt einfach Kontakt mit dem afo auf!

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Stellungnahme zur Arbeitersiedlung Sintstraße

Aktuell steht ein Teilabriss und Umbau der historischen Arbeitersiedlung Sintstraße in Linz (1927), geplant von Curt Kühne, zur Debatte. Hier die Stellungnahme des afo zum Vorhaben.

ARBEITERSIEDLUNG SINTSTRAßE, LINZ
STELLUNGNAHME ZUM ERHALT DES GESAMTENSEMBLES

Die von Curt Kühne 1927 errichtete Arbeitersiedlung Sintstraße gehört zu den bedeutendsten Siedlungskomplexen der Moderne in Linz. Sie hat aufgrund ihrer spezifischen städtebaulichen Qualitäten und des fein abgestimmten Verhältnisses von Einzelbauten, städtebaulicher Situation und Frei- bzw. Grünraumgestaltung eine besondere bauhistorische Bedeutung weit über Linz hinaus. Dies ist inzwischen hinlänglich bekannt (zusammenfassend verwiesen sei u.a. auf: A. Bina u. G. Wilbertz (Hg.): Gebaut für alle. Curt Kühne und Julius Schulte planen das soziale Linz (1909-38), Linz 2021; hier besonders S. 78f.).

Der Teilabriss von außen liegenden Siedlungshäusern bei gleichzeitigem Erhalt der zentralen Angersituation geht von problematischen bis falschen Einschätzungen aus. Zur Begründung:

Eine Reduzierung auf die zentrale Angersituation verkennt und negiert die erhaltene städtebauliche Gesamtsituation und die historische Planungsabsicht.

Curt Kühne hat, den bescheidenen Mitteln der Zeit geschuldet, mit einfach wirkenden Mitteln komplexe städtebauliche Situationen geschaffen (u.a. Wohnanlage Kaufleitnergründe, 1925 und Wohnhausanlage Franckstraße, 1927). Sie entwickeln nicht nur spezifische Qualitäten nach innen, sondern definieren gezielt und unverwechselbar das Verhältnis der Bauten und der Freiräume (Höfe) zum Straßen- und Stadtraum. Dabei geht es nicht nur um Gestaltung, sondern die Verwirklichung verbesserter sozialer und kultureller Bedingungen für die Bewohner*innen.

Hierbei spielen im Falle Sintstraße die außenliegenden Gebäude eine absolut entscheidende Rolle. Sie definieren nicht nur das Verhältnis der Mitte (Anger) zum umliegenden Stadtraum, sondern schaffen durch die von ihnen gebildeten Raumstaffelungen und Perspektiven einen wohlkalkulierten, perspektivisch abwechslungsreichen Übergang von den umliegenden Straßenräumen (also der Stadt) in die Siedlung hinein. Inszeniert werden Wege, Blickachsen und architektonische Bezüge (bis in die Details hinein), die nur im Zusammenspiel des Ganzen erfahrbar sind und bleiben.

Nur der Erhalt des von Kühne geplanten Gesamtensembles lässt all diese Qualitäten und mit ihnen verbundenen gesellschaftlichen Implikationen wirksam werden. Der Teilabriss hinterließe eine unbefriedigende Rumpfsituation, die mit den ursprünglichen Planungsintentionen und den hieraus generierten, heute noch relevanten Qualitäten kaum mehr etwas zu tun hätte. Das wertvolle Ensemble wäre keines mehr.

Neben diesen Aspekten stellt die Siedlung auch nach fast 100 Jahren ein exemplarisches Beispiel für eine optimale, nicht von ökonomischen Verdichtungsprämissen bestimmte, großzügige Situierung von Baukörpern dar. Auch wenn sich die Parameter inzwischen deutlich verändert haben, ist in der Siedlung Sintstraße unmittelbar erfahrbar, welch wichtige Rolle die Freiraumplanung auch hinsichtlich sozialer Fragestellungen besitzt bzw. besitzen sollte.

Text: Georg Wilbertz, Architekturhistoriker
Linz, Februar 2023

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